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29Jan
Weder Kultur noch Natur
In James Camerons „Avatar“ zeigt sich die Ausweglosigkeit ideologischer Denkformen.
„Die Menschen haben aus Gottes schöner Welt ein Bordell gemacht“ (Freier in ACCATTONE, Pasolini, Italien 1961)
von H. Götte
Das Mündungsfeuer der Waffe hört sich nicht nur verdammt nah an, auch scheint es bis in die zweite Zuschauerreihe zu ragen. Der Soldat, der es abfeuert hingegen, gleicht eher einer jämmerlichen Karikatur seiner selbst, einer Action-Figur aus dem Supermarkt zu Kinderzeiten. Die (gar nicht mal so) neue 3D-Technik des Kinos hat Vorteile und Nachteile, die immensen Investitionskosten dieser Entwicklung noch nicht mal mit eingerechnet. Wie die fast schon obligatorische Handy-Neuerfindung im zwei Jahres Takt, passend zur durchschnittlichen Vertragslaufzeit, so hat auch endlich die seit Jahren nörgelnde Kinoindustrie ein neues Alleinstellungsmerkmal, eine Form stofflicher Gebrauchswert, der (noch) nicht die Datenautobahnen als „Schwarzkopie“ entlang gleiten kann. Selbstverständlich ist schon aus Gründen der Konkurrenz diese Besonderheit zum Scheitern verurteilt, die ersten „echten“ 3D Fernseher bereits für das Frühjahr 2010 angekündigt.
Was James Cameron unter dem Namen „Avatar – Aufbruch nach Pandora“ abgedreht hat kann unter diesem Gesichtspunkt vielmehr als der neue, animierte Handy-Hintergrund betrachtet werden, denn als Ausdruck einer neuen schöpferischen Tätigkeit. Und so war es für niemanden überraschend, dass „Avatar“ ganz nett anzuschauen ist, aber nicht zuletzt aufgrund der dünnen Story über eine „wahrscheinlich sehr erfolgreiche technische Fußnote der Filmgeschichte“ (Jungle World, http://jungle-world.com/artikel/2009/51/40038.html) nicht hinauskommt. Soweit, so langweilig. Es scheint klar zu sein, dass in einem derartigen Film schon aus Zielgruppengründen Themen der Mittelschicht durchexerziert werden: „Überhaupt streift Cameron in ‚Avatar‘ alles, was die Welt gerade bewegt – die Angst vor dem ökologischen Gau, vor Kriegslüsternheit, vor der zerstörerischen Macht der skrupellosen Gier: Die Menschheit hat ihre Heimat heruntergewirtschaftet, also auf zur Eroberung neuer Kolonien.“ (Süddeutsche Zeitung, http://www.sueddeutsche.de/kultur/419/497721/text/) Nur „Die Zeit“ gibt sich wenigstens noch etwas Mühe, diesem Werturteil der Gesellschaft – ja, es ist alles so schlimm, aber immerhin 3D – etwas entgegen zu setzten, auch wenn hier der Wunsch Vater des Gedankens zu sein scheint und der Vorwurf des „kulturellen Imperialismus“ seltsam anachronistisch sich anhört und unbegründet bleibt. Wenigstens erkennt „Die Zeit“ noch eine tendenziell rassistische Botschaft: „Cameron verbeugt sich vor den edlen Wilden und reduziert sie doch zu Abhängigen.“ (Die Zeit, http://www.zeit.de/2010/03/P-Zeitgeist) und auch der „durchgeknallte Marine-Colonel“ wird hier nicht zum Proto-Faschisten erklärt, sondern als die Charaktermaske gesehen, die er ist, ein Schräubchen im Getriebe einer „technorationalistischen Zivilisation“. Jeder Wachschutz, jeder U-Bahn Sicherheitsdienst nimmt während seiner Arbeit ja genau dieselben unappetitlichen inhumanen Funktion ein.
Wenn nun also die Menschen als die gierigen, schrankenlosen Verbraucher erscheinen, was ja auch der Form entspricht, in der sie ihren Naturstoffwechsel organisieren und gleichzeitig die „Na’vi“ die „edlen Wilden“ dem entgegengestellt werden, handelt es sich dann wirklich nur um ein kritisch intendiertes Sujet oder vielmehr um ein antimodernes Ressentiment, das in der Hinsicht fetischistische Wahrnehmung ist, als das der Ausdruck kapitalistischer Vergesellschaftung als von der Verwertung entkoppelte Sphäre der regressiven Bluts- und Volksgemeinschaft des Naturstammes entgegen gestellt ist. Die Menschen jedenfalls haben sich in „Avatar“ moralisch erledigt, die unmittelbare Solidarität, zumindest der noch zur Empathie fähigen Menschen, gilt somit dem Volk der, durch einfachste kulturindustrielle Schemata als „die Guten“ codierten, „Na’vi“. „Avatar“ präsentiert einen „[…] Manichäismus; er erklärt den Lauf der Welt aus dem Kampf des Prinzips des Guten gegen das Prinzip des Bösen. Zwischen diesen beiden Prinzipien ist kein Ausgleich denkbar: daß eine muß siegen […].“ (Sartre 1954, 28).
Zugegeben, dies gilt für die meisten aktuellen Filmproduktionen. In „Avatar“ jedoch kann man diesen Faden noch weiter spinnen und sich die Gegenüberstellung von „gierigem Mensch“ und „naturverbundener Gemeinschaft“ genauer ansehen. Nicht nur die Grundintention einer solchen Gegenüberstellung ist fraglich, auch die Ausweglosigkeit der Situation für einen Menschen, der über das bestehende hinaus – und nicht meilenweit dahinter zurück will, ist schlicht nicht gegeben. Denn ein Fortschritt kann die Selbstunterwerfung unter ein primitives Kollektiv nicht sein. Hinter den zivilisatorischen Standard zurückverfallen, hieße nicht nur ein unnötig-asketisches Leben und die Aufgabe jeder Möglichkeit zu Luxus und Genuss, es hieße auch die Ideale der bürgerlichen Gesellschaft zu verraten, anstatt sie zu bewahren, auf eine neue Stufe zu heben um sie schlussendlich aufheben zu können.
Dies wird auch an den geistigen Formen deutlich, für die Menschen und „Na’vi“ hier stehen. Die Menschen sind kühl, berechnend, rational, egoistisch und analytisch, nicht von Natur aus, sondern durch äußeren Zwang (wie an dem Chef der Menschenplattform sichtbar wird) – dennoch sind sie in der Lage ihr Verhalten zu reflektieren. Es handelt sich also um analytisches Denken, um Vernunft, die vernebelt ist durch die allgemeine Unvernunft der gesellschaftlichen Einrichtung, denn auch in „Avatar“ sind die Menschen Charaktermasken von Lohnarbeit, folgerichtig handelt es sich um eine durch Wert vermittelte, kapitalistische Gesellschaft. Was in „Avatar“ den Menschen nun als ökologisch wertvoll und moralisch überlegen entgegen gesetzt wird ist die Gemeinschaft derer, die sich nichts haben zu schulden kommen lassen, die im Einklang mit der Natur leben, die auf jedweden Fortschritt ausdrücklich verzichten, sei er sozialer oder technischer Art.
Diese halbesoterische Gemeinschaft von Clans oder Stämmen setzt dem analytischen Denken der Menschen das „Sehen“ und das „Fühlen“ entgegen. Die „Na’vi“ sind nicht nur mit der Natur verbunden und in sich eine unteilbare Totalität, sondern sie bilden sie auch mit der Natur, mit dem Planeten, auf dem sie leben: „Wenn wir versuchen, das Prinzip, auf das man sich hier bezieht, als abstrakte Aussage zu formulieren, erhalten wir: das Ganze ist mehr und etwas anderes als die Summe seiner Teile; das Ganze bestimmt den Sinn und die tieferen Merkmale der Teile, aus denen es zusammengesetzt ist. Es gibt nicht eine Tugend des Mutes, […] jede Person ist eine nicht zerlegbare Totalität mit ihrem Mut, ihrer Großzügigkeit, ihrer Art, zu denken, zu lachen, zu trinken und zu essen. […] Das synthetische Denken erlaubt ihm, sich in einer unauflösbaren Einheit mit (Pandora – im Original steht ‚Frankreich‘ – Anm. d. V.) als Ganzem zu sehen.“ (Sartre 1954, 24). Somit stehen sich analytisches Denken und synthetisches Denken gegenüber und es ist kein Zufall, dass Sartre mit dem synthetischen Denken versucht den Antisemiten zu beschreiben, kein Zufall nicht etwa weil ‚Avatar‘ hier expliziter Antisemitismus nachgewiesen werden soll, sondern vielmehr, weil somit deutlich wird welche reaktionäre, zu Reflektion und Kritik unfähige Denkform hier bildgewaltig als barbarische Krisenlösung moralisch überhöht dargeboten wird. Das Erachten der „Na’vi“ als die „gute“ Seite des Manichäismus ist nichts anderes als der „Schritt zurück“ und in diesem Sinne tatsächlich antimodern.
Zum Begriff der Krisenlösung findet sich in „Avatar“ ein weiterer Anknüpfungspunkt, wenn wir nun wieder die Darstellung der Menschen uns ansehen. Auch die folgende These ist weder neu noch eine Randerscheinung, sonder allgegenwärtig. Dies ist jedoch kein Argument gegen die Richtigkeit, im Gegenteil. Die Menschen sind Verursacher der Krise hier auf mehreren Ebenen. Ihre Vergesellschaftungsform ist derart unvernünftig organisiert, dass sie sich ihrer Lebensgrundlage eigentlich beraubt haben, dies hat nun Krisencharakter für die Menschheit. Doch da die Menschen in einer kapitalistischen Gesellschaft leben, treibt die Schranken- und Rastlosigkeit der Wertverwertung sie in Form eines zivil-militärischen Komplexes (übrigens nichts neues, wie die „British/English East India Company“ beweist) auch in den hinterletzten Winkel des Universums. Dies bedeutet nun die Krise für den Planeten „Pandora“ und die darauf befindlichen Lebewesen. Obwohl es in „Avatar“ um nichts anderes geht, als um dieses Setting, bemerkt man davon nichts. Der Grund dafür ist, dass dieser Konflikt als einer zwischen Subjekten dargestellt wird, die nur die richtigen Entscheidungen treffen müssen, um die Krise abzuwenden. Die Gründe, warum Menschen so werden wie sie sind, warum sie überhaupt in die Situation kommen, anderen Leid anzutun gerät dabei aus dem Fokus. Vielmehr wird noch darauf insistiert, welche Rolle scheinbar ahistorische Charakterprägungen spielen. Der obige Artikel aus der „Süddeutschen Zeitung“ ist dabei nur ein Beispiel dafür, wie gut diese Message funktioniert.
Die nun aufkommenden Adjektive sind ja nur zu bekannt, die „Bösen“ sind gierig, skrupellos, rücksichtslos, unersättlich und so weiter, während die „Guten“ dementsprechend positiv aufgeladen werden. Sind sie ja vielleicht auch individuell in der herrschenden Situation zutreffend, aber genau hier beginnt die Ambivalenz, die es bei jeglicher Diskussion sorgsam zu beachten gilt, es ist der „Ansatz, der unterscheiden kann zwischen dem, was moderner Kapitalismus ist, und der Art, wie er sich darstellt.“ (Postone 1979). Nicht nur, dass derartige Charakter-zuschreibungen als Personifizierung ökonomischer/militärischer Funktionsträger einem Antisemitismus vorarbeiten, sie verschleiern damit auch zusätzlich die Verhältnisse: „Als Objekt drückt die Ware soziale Verhältnisse aus und verschleiert sie zugleich. Diese Verhältnisse haben keine andere, davon unabhängige Ausdrucksform. Durch diese Form der Vergegenständlichung gewinnen die gesellschaftlichen Verhältnisse des Kapitalismus ein quasi-objektives Eigenleben. Sie bilden eine ‚zweite Natur‘, ein System von Herrschaft und Zwängen, das – obwohl gesellschaftlich – unpersönlich, sachlich und ‚objektiv‘ ist und deshalb natürlich zu sein scheint.“ (Postone 1979). Die Wahrnehmung der „2. Natur“ sorgt dafür, dass nicht die Frage auftaucht warum die Charaktermasken, die Handeln, so handeln, wie sie handeln und warum sie überhaupt handeln, sie sorgt aber zudem dafür, dass der Handlungsspielraum der Subjekte als ein individueller wahrgenommen wird, hinter dem nichts weiter steht als vielleicht die nächste, übergeordnete Charaktermaske. Fetischistische Wahrnehmung ist nun die Identifizierung von Menschen als Krisenbringer.
Solange die kapitalistische Vergesellschaftung der Menschen nicht als Grund der Krise ausgemacht wird, sondern nur ihre Erscheinung denunziert und zudem noch eine Flucht vor der Krise in einem rückschrittlichen, volkstümlichen Kollektivgedanken propagiert, solange gibt es in „Avatar“ keine Perspektive der Vernunft. Wenigstens Heli-Pilotin Michelle Rodríguez deutet etwas in dieser Richtung an, sie verweigert den Schießbefehl. Selbst das sieht in 3D noch besser aus.
Joffe, Josef (2010): Karl May und ‚Avatar‘. In: Die Zeit, http://www.zeit.de/2010/03/P-Zeitgeist
Kiontke, Jürgen (2009): Alltag eines Avatars. In: Jungle World, http://jungle-world.com/artikel/2009/51/40038.html
Postone, Moishe (1979): Antisemitismus und Nationalsozialismus.
Sartre, Jean-Paul (1954): Überlegungen zur Judenfrage.
Vahabzadeh, Susan (2009): Ausgeburt der Gier. In: Süddeutsche Zeitung, http://www.sueddeutsche.de/kultur/419/497721/text/